Es ist Zeit…

Jörg Radek, Vorsitzender GdP Bundespolizei

In einer für die deutsche Geschichte historisch nicht vergleichbar langen Zeit haben wir seit vergangenem Freitag ein 28-seitiges Sondierungspapier vorliegen, in dem sich die möglichen Koalitionäre für eine Bundesregierung auf Themen und Zielvorstellungen verständigt haben. Insgesamt handelt es sich um ein Dokument der kleinen Antworten. Das verwundert nicht. Niemand durfte in der gegenwärtigen Situation einer gespaltenen SPD, einer CSU, die vor den Landtagswahlen mit dem Rücken zur Wand steht, und einer CDU, die nur auf Verwaltung setzt, eine großartige Vision erwarten. Und schließlich gibt es ja auch noch die Chance auf mehr Inhaltliches in den Koalitionsverhandlungen.

Eigentlich wären eine echte Vision und eine nachhaltige Programmatik in der gegenwärtigen Zeit dringend erforderlich. Es bräuchte einen Gesellschaftsentwurf, der aktuellen Probleme der Menschen ernst nimmt und Wege in die Zukunft weist. Eine mögliche Bundesregierung aus Unionsparteien und SPD wird jedoch eher ein Reparaturbetrieb für die eigene Politik der vergangenen Jahre. In der Vergangenheit gab es in der GroKo jedoch mehr Spielraum. Manches mutet jedoch seltsam an: Bislang hatte man nicht einmal die Kraft, für die Novelle des Bundespolizeigesetzes aber jetzt soll sogar ein „Musterpolizeigesetz“ entworfen werden? Natürlich ist das begrüßenswert, die BPOLG-Novellierung wäre jedoch der erste Schritt.

Das Ergebnis der Bundestagswahl und das Verhalten einzelner Akteure haben für die aktuelle Trägheitsphase in der Bundespolitik gesorgt: Union und SPD müssen als Verlierer der Bundestagswahl die Chancen für eine Wiederaufnahme der Regierung prüfen. Ein Teil der Wahlgewinner wollte die Chance einer Regierungsbeteiligung nicht ergreifen. Wieder ein anderer Teil ist nicht gewollt. Im Parlament gibt es rechnerisch eine Regierungsmehrheit. Also will der Bundespräsident selbstverständlich auch keine Neuwahlen. Worüber sollte auch abgestimmt werden? Das Wählervotum wäre eine Abstimmung über Betragen und Verhalten der politischen Klasse in den vergangenen Monaten. Im Ergebnis würden die Populisten gestärkt und ihnen ein weiteres Thema geliefert: das Versagen der bisherigen politischen Elite.

Was wäre mit der Option einer Minderheitsregierung? Sie würde den Parlamentarismus in Deutschland stärken – ein grundsätzlich begrüßenswerter Effekt. Doch wie soll ein Vertreter einer Minderheitsregierung auf politischer Augenhöhe mit Regierungschefs wie Trump, Erdogan, Orban oder Morawiecki verhandeln?

Vor diesem Hintergrund zerfleischt sich die SPD über fehlende Inhalte eines Zwischenergebnisses und innerparteiliche Abläufe. Eine Debatte, für die viele Menschen kein Verständnis haben. Unsere Gesellschaft braucht daher kein politisches Taktieren. Sie braucht nun, was sie in den letzten über 100 Tagen kaum vermisst hat: eine stabile Regierung unabhängig von der politischen Farbenlehre.

Jörg Radek

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Source: RSS aus GdP Bundespolizei