Vereinbarkeit der verschiedenen Lebensbereiche gelingt mehr schlecht als recht
Das Gefühl, eine gute Arbeit zu haben, zeichne sich dadurch aus, dass sie den Beschäftigten ermöglicht, Erwerbsarbeit, Familie und private Interessen unter einen Hut zu bringen. „Für viele von ihnen gelingt die Vereinbarkeit dieser Lebensbereiche jedoch mehr schlecht als recht. Und mit dieser Diagnose stehen unsere Beschäftigten in der Polizei mit ihren Wechselschichtdiensten, Überstunden, Nachtarbeit, Wochenendarbeit und Dauerdiensten wahrlich nicht an letzter Stelle“, erläuterte der GdP-Vize. Er fügte hinzu: „Arbeitszeit wird in Zeiten zunehmender Verbreitung atypischer Arbeitszeitlagen an Wochenenden, abends und nachts sowie überlanger Arbeitszeiten immer mehr zum Schlüsselfaktor für gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen. Die Folge: ein Großteil der Beschäftigten ist aufgrund hoher Arbeitsbelastung zu erschöpft, um sich noch um familiäre oder private Angelegenheiten kümmern zu können.“
Schilff verwies auf die jüngst veröffentlichte Beschäftigtenbefragung zum DGB-Index Gute Arbeit und betonte, „Das ist ein furchtbarer Befund, aber er macht deutlich: Vereinbarkeit von Privat- und Arbeitsleben beginnt mit einer gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung.“
Ein Arbeitstag, der Schilff zufolge erkennbare Grenzen hat, macht es Beschäftigten leichter, Privates und Arbeit miteinander zu vereinbaren. Er analysierte: „Wer nachts arbeitet, wer ausufernde Arbeitszeiten hat oder ständig erreichbar sein muss, hat massive Probleme, Arbeit und Privatleben miteinander zu vereinbaren. Die Flexibilisierung der Arbeit darf nicht weiter einseitig zulasten der Beschäftigten gehen, sie muss ihnen auch nutzen. Unser Ziel ist mehr Selbstbestimmung. Dazu brauchen wir eine Wende bei der Arbeitszeit. Auf der tarifpolitischen Ebene, bei den Arbeitszeitverordnungen genauso wie in der Politik.“
„Wir brauchen eine beschäftigtenorientierte Flexibilität.“
Flexibilisierung und Entgrenzung von Arbeitszeit und Arbeitsort seien kein Selbstläufer für eine bessere Vereinbarkeit: „Wir brauchen eine beschäftigtenorientierte Flexibilität. Als Beispiel seien genannt der gesetzliche Anspruch auf befristete Teilzeit oder ein Rückkehrrecht auf Vollzeit.“ Die moderne Arbeitszeitgestaltung sei für die GdP und „damit meine ich auch unseren Gewerkschaftsbund, den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften, von sehr hoher Bedeutung. Das Arbeitszeitgesetz ist ganz wesentlich für den Arbeits- und Gesundheitsschutz von Millionen Beschäftigten. Es geht uns darum, die Arbeitszeitsouveränität von Beschäftigten zu erhöhen und nicht das bestehende Arbeitszeitgesetz aufzuweichen.“ Wenn die künftige Bundesregierung hier Verschlechterungen durchsetzen wolle, sei mit dem Widerstand der Gewerkschaften zu rechnen, sagte Schilff. „Wir werden nicht akzeptieren, dass die Ruhezeiten flexibilisiert werden oder die tägliche Höchstarbeitszeit zugunsten einer Wochenarbeitszeit abgeschafft wird. Und wie schnell würden diese Verschlechterungen in den Arbeitszeitverordnungen für die Beamtinnen und Beamten nachvollzogen!“
Ganzheitliche, nachhaltige und zukunftsfähige Lösungsansätze
Bei diesem Thema seien „ ganzheitliche, nachhaltige und zukunftsfähige Lösungsansätze“ gefragt, da alle betroffen sind: Tarif und Beamte, Einsatz und Verwaltung, Männer und Frauen, Alte und Junge, Familien und Ledige, sagte Sven Hüber, Vorsitzender des GdP-Bundesfachausschusses Beamten- und Besoldungsrecht. Dass der letzte GdP-Bundeskongress trotz oder gerade wegen der Folgen des Auseinanderdriftens des Dienstrechts als Ergebnis der Föderalismusreform dem Bundesvorstand den Auftrag gegeben habe, bessere Lösungen als bisher für alle 18 Polizeien und den Zoll und die anderen Organisationsbereiche zu finden, zeige, dass in der GdP zu Recht die Auffassung vertreten werde, dass die arbeitszeitlichen Bedingungen für die Beschäftigten in der ganzen Bundesrepublik gleich gut sein müssten.
Arbeitszeitfragen schaffen Hüber zufolge hohe Akzeptanz und Bindungswirkung innerhalb der Gewerkschaftsorganisation, weil es für die breite Masse der Mitglieder unmittelbare Relevanz im täglichen Leben entfaltet. Zudem sind diese unmittelbar mit den Themen Demografie/Überalterung, Personalfehl, Personalentwicklung, Aufstieg und Qualifizierung/Fortbildung, Familie/Beruf/Pflege verknüpft. „Es lohnt sich also für die Bundes-GdP, sich intensiver mit Arbeitszeitfragen zu befassen“, ergänzte er. Auch andere Schwestergewerkschaften hätten dies erkannt und eine eigene Arbeitszeitkampagne gestartet.
Zugleich zeigten verschiedene, sicher auf alle Polizeien in Deutschland übertragbare Indikatoren, dass „wir bei diesem gewerkschaftlichen Kernthema Arbeitszeit stärker gefragt sind als bisher“: In den deutschen Polizeien hätten sich 18 bis 20 Millionen Überstunden angesammelt, in einigen Ländern wolle man Zwangsauszahlungen vornehmen. Die Krankenquote bei den Polizeien liege bei bis zu 25 Prozent, zu verzeichnen seien steigende Fälle von Überlastungssyndromen und Zunahme psychosozialer Erkrankungen. Viele neue Einsatzformen, insbesondere Einsätze im Ausland, seien arbeitszeitrechtlich gar nicht oder nicht ausreichend umfasst.
Hüber verwies darauf, dass dem jahrzehntelange Personalabbau bei den Polizeien bei wachsender Aufgabenbreite die Polizeiführungen vor allem mit drei Instrumenten beizukommen versuchten, um trotz wachsender Personallöcher und sinkender bis stagnierender Budgets mehr Aufgaben erfüllen zu können: Organisationsänderungen, „neue Steuerungsmodelle“ zu einer Ökonomisierung der Polizeiarbeit und „Flexibilisierung“ von Arbeitszeiten. Die“ Flexibilisierungen“ standen dabei stets im Spannungsfeld zwischen persönlichen und dienstlichen Interessen, wie der Gewerkschafter betonte. „Anders ausgedrückt: Planbarkeit und Flexibilisierung sind nicht immer vereinbar.“ Dabei sei laut Erhebungen für nur 35 Prozent der Polizeibeamten die Flexibilität der Arbeitszeiten ein bedeutsamer (starker, sehr starker) Identitätspunkt mit dem Polizeiberuf.
Zugleich führe die Flexibilisierung in vielen Bereichen mittelbar zur Auflösung oder doch zum Brüchig werden gewachsener Sozialstrukturen in der Polizei, weil vielfach die Zusammensetzung von Dienstgruppen und Schichten mehr oder weniger aufgelöst wurde. Dass die Flexibilisierung keine Personallöcher auf Dauer stopfen könne, zeige sich an den konstant hohen Überstundenbergen.
Source: RSS aus GdP Bundespolizei